Heute muss ich meinen Eltern helfen, den Dachboden aufzuräumen. Es ist staubig hier oben und riecht nach altem Holz und vergessenen Geschichten. Überall stehen Kisten. „Wir sollen endlich mal Platz schaffen“, sagt meine Mutter und seufzt. Ich mag diese Aufgabe nicht besonders, aber manchmal findet man zwischen alten Dingen kleine Schätze.

In einer Ecke steht eine alte Truhe. „Was ist da drin?“, frage ich. Mein Vater zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, die gehört deiner Oma. Wir wollten sie nie wegwerfen.“ Meine Oma. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Sie ist gestorben, als ich noch sehr klein war.

Vorsichtig öffne ich die Truhe. Darin liegen alte Decken, ein paar Bücher und ganz unten finde ich ein kleines Holzkästchen. Ich nehme es heraus. Darauf liegt ein Brief. Ein richtiger Brief, mit Tinte geschrieben. Und er ist an mich adressiert.

Meine Hände zittern ein bisschen, als ich den Umschlag öffne. Die Schrift ist elegant und ein wenig zittrig. Es ist die Handschrift meiner Oma.

„Meine liebe Lina“, beginnt der Brief. „Wenn du das liest, bin ich wahrscheinlich nicht mehr da. Aber du sollst wissen, dass ich jeden Tag an dich gedacht habe. Ich wollte dich aufwachsen sehen. Ich wollte dir Geschichten erzählen und dir zeigen, wie man die besten Kekse backt. Das kann ich nun leider nicht mehr.“

Mir steigen die Tränen in die Augen. Ich setze mich auf den staubigen Boden und lese weiter. Sie schreibt von ihren Träumen, von ihrer Liebe zu meinem Opa und von ihren Hoffnungen für mich. „Du darfst niemals aufhören zu träumen, mein Kind“, schreibt sie. „Du kannst alles erreichen, was du dir vornimmst. Du musst nur an dich glauben. Und du sollst immer auf dein Herz hören.“

Es fühlt sich an, als würde sie direkt zu mir sprechen. Als wäre sie hier bei mir auf dem Dachboden. Ich kann ihre Stimme fast hören. Eine Stimme, die ich nie wirklich gekannt habe, aber die sich so vertraut anfühlt.

Am Ende des Briefes steht: „Ich mag mir vorstellen, wie du als junge Frau sein wirst. Ich hoffe, du bist glücklich. Das ist alles, was ich mir für dich wünschen kann.“

Ich falte den Brief vorsichtig zusammen und drücke ihn an mein Herz. Der Staub, die Unordnung – all das ist plötzlich unwichtig. Ich habe heute keinen Schatz aus Gold gefunden, sondern etwas viel Wertvolleres. Eine Verbindung. Eine Erinnerung. Ein Stück Liebe, das die Zeit überdauert hat.

Ich muss diesen Brief für immer aufbewahren. Er ist ein Geschenk. Er erinnert mich daran, dass wir die Menschen, die wir lieben, nie wirklich verlieren. Sie leben in unseren Herzen weiter. Und manchmal, wenn wir es am wenigsten erwarten, können sie uns eine Nachricht aus der Vergangenheit schicken.